10. Eberhard Jüngel: Vom Tod des lebendigen Gottes
In einem Aufsatz aus dem Jahr 1968 äußert sich Eberhard Jüngel zum Thema des Kreuzes Jesu Christi. Für Jüngel liegt der Ausgangspunkt des Überlegens in der Einheit zwischen Gott und Jesus Christus. In diesem Sinne kann er das Ergebnis der Kreuzigung mit den Worten "Gott ist tot" kommentieren. Die Kreuzigung wiederum lässt sich nicht ohne die Auferstehung denken, in welcher Gott sich als lebendiger Gott erweist. So übertitelt Jüngel seinen Aufsatz mit den paradoxen Worten "Vom Tod des lebendigen Gottes." Der Tod des lebendigen Gottes zieht nun aber zweierlei Konsequenzen nach sich: Nämlich erstens für Gott und zweitens für den Tod.
Die Bedeutung des Todes Gottes für Gott besteht darin, dass Gottes Sein sich hier als ein umfassendes Sein erweist, dass über den Horizont der traditionellen Theologie und des menschlichen Verstandes hinausreicht. Traditionell gilt der Tod als der "Bereich", der von Gott getrennt ist. Wenn nun aber Gott sich gerade im Tod als Gott erweist, dann kann dies nicht länger gelten. "Den Tod erleidend hat Gott sich behauptet" (S.120); es gibt folglich keinen Tod (mehr), der als etwas Gott Fremdes gedacht werden kann. "Gottes ewiges Sein ist differenzierter und auch zeitlicher als wir zu denken vermögen" (S.120).
Die Bedeutung des Todes Gottes für den Tod bildet die Kehrseite des gerade über Gott Gesagten: Wenn Gott sich gerade im Tod als Gott erweist, so hat dies Konsequenzen für den Tod. "Der Tod Gottes verändert ... den Tod" (S.123): Denn Gott hat nicht nur einmal kurz den Tod erlitten sondern diesen für immer auf sich genommen. Gottes Macht ist größer als die Macht des Todes; durch den Tod Gottes hat Gott den Tod entmachtet. Jüngel gelangt infolge dieser Überlegungen schlussendlich zu der pointierten Formulierung: "So tötet Gott den Tod" (S.123).
Kurz gefasst: Gott erweist sich im Tod als der lebendige Gott. Gottes Macht erstreckst sich sogar bis in den Tod hinein, und der Tod selbst wird durch Gottes Tod entmachtet.
Quelle: Eberhard Jüngel: Vom Tod des lebendigen Gottes. Ein Plakat. In: Unterwegs zur Sache. Theologische Bemerkungen. München 1972, S.105-125 (= ZThK 65 (1968) 93-116)
Denkanstoß: Wie ernst ist das Geschehen der Kreuzigung für Gott dann noch? Bekommt Gott den Tod überhaupt als Tod zu spüren - oder begegnet dieser ihm von vornherein nur als ein entmachteter Tod?
Nils Krückemeier