11. Jürgen Moltmann: Der gekreuzigte Gott

In seinem Buch "Der gekreuzigte Gott" von 1972 verbindet Jürgen Moltmann sein Nachdenken über das Kreuz Jesu Christi radikal mit der Trinitätslehre, so dass die Göttlichkeit des Gekreuzigten in den Vordergrund tritt. Gott selbst stirbt am Kreuz - das bringt Moltmann schon im provokativen Titel seines Buchs zum Ausdruck.

Das Kreuz Gottes konstituiert sowohl die Identität als auch die Relevanz des christlichen Glaubens (S.23). Außerdem birgt es schlichtweg schon die Kritik jeglicher Vereinnahmung Gottes durch die Menschen in sich, denn im Kreuz zeigt sich Gott ja gerade als ein Gott, der menschlichen Erwartungen zuwider läuft (S.41).

Im Gekreuzigten zeigt sich nach der Ansicht Moltmanns das Wesen Gottes am deutlichsten, und nur im Kreuz können die Menschen Gott als Gott erkennen (S. 197). Wenn solches geschieht und ein Mensch Gott erkennt, so führt dies "gerade nicht zur Vergottung des Menschen .. sondern zu seiner Entgottung" (S.198): Das Kreuz Gottes beseitigt den Widerspruch, den der Mensch Gott gegenüber an den Tag legt. Denn dieser Widerspruch besteht in seinem Kern darin, dass der Mensch vollkommen sein und sich selbst an die Stelle Gottes setzen will. Erkennt er nun jedoch Gott als einen Gott, der sich selbst in die menschliche Unvollkommenheit hineinbegibt, so führt dies das Sein-Wollen-wie-Gott ad absurdum. Das Kreuz Gottes vernichtet somit den vom Menschen aufgerichteten Widerspruch zwischen Gott und Mensch; wer Gott im Kreuz erkennt "ist dazu befreit, das ungleiche und andere zu lieben" (S.198).

Wenn das Kreuz Gott als Gott identifiziert und Teilnahme Gottes an der Unvollkommenheit meint, dann wirkt sich dies auch auf das Denken über Gottes Sein aus: Für Moltmann ist Gott weniger "Person" als "Geschehen" (S.234). Der Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits ist aufgehoben.

Um es kurz zu machen: Das Kreuz macht das Wesen des christlichen Glaubens aus, denn im Kreuz erweist sich Gott als Gott der den menschlichen Erwartungen widerspricht. Gott geschieht in Unvollkommenheit und räumt so den Widerspruch zwischen Gott und Menschen aus.

Quelle: Jürgen Moltmann: Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie. München 1972

Denkanstoß: Braucht der christliche Glaube den Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits? Ist ein als "Geschehen" verstandener Gott noch Gott?

Nils Krückemeier