Epilog: Das Kreuz und seine Deutungen

Das Kreuz Jesu Christi entfaltet seine Wirkung erst dann, wenn ein Mensch es als Ereignis begreift, das existenziell etwas mit ihm selbst zu tun hat. Die Theologie bedient sich hier häufig einer lateinischen Wendung: Das Leiden Christi geschah pro nobis (d.h. "für uns"). Auf welche Weise dies allerdings der Fall ist - darauf sind während der vergangenen 2000 Jahre unterschiedliche Antworten gegeben worden. Grundsätzlich aber gilt: Das Kreuz bedarf der Deutung!

Indem er seinen Film mit "The Passion of the Christ" betitelt, also vom Leiden Christi (d.h. des Messias' Gottes) erzählen will, gibt sich auch Mel Gibson in gewissem Sinne als Theologe (d.h. als einer der von Gott redet) zu erkennen.

Das Pro-Nobis der Passion bekundet Gibson dabei gleich zu Beginn des Filmes, indem er seinem Werk ein Zitat aus dem Alten Testament voranstellt: "Er ist um unsrer Missetat willen verwundet / und um unsrer Sünde willen zerschlagen" (Jes 53,5). Bereits innerhalb des Neuen Testamentes lässt sich beobachten, dass die Worte aus diesem Abschnitt des Jesaja-Buches als Voraussage auf Jesus hin verstanden worden sind (z.B. Apg 8,26-40). Auch die Rückblende zur Szene des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern stellt die Passion als ein Geschehen pro nobis dar. Viel weiter geht Gibsons Deutung jedoch nicht. So bleiben für diejenigen, die sich in der Materie auskennen, viele Interpretations-Spielräume offen; diejenigen aber, die sich nicht so gut auskennen, bleiben im Halbdunkel stehen.

Den größten Akzent des Filmes legt Gibson offenbar auf das grauenvolle Ausmaß des Leidens Christi. Mit seiner detailreichen Ausgestaltung der Folterszenen läuft er dadurch allerdings schon wieder Gefahr, übertrieben und folglich unglaubwürdig zu wirken. In der Theologiegeschichte hingegen ist die Schwere des Leidens Christi nur selten Gegenstand des Nachdenkens gewesen. Die große Mehrheit der Theologen legte den Schwerpunkt darauf, zu erklären, wie das Leiden Christi sich nun auf die Situation des Menschen auswirkt.

Ein Mehr an Deutung zugunsten eines Weniger an Grausamkeit hätte Gibsons Film darum möglicherweise geholfen, sein Anliegen noch wirkungsvoller zu vertreten.

Nils Krückemeier