Wahrheit oder Fiktion?
Wie ein Anspruch zur Falle wird.
von einer Studentin
„Die Passion Christi“ wird in der öffentlichen Diskussion insbesondere unter dem Aspekt der Authentizität betrachtet. Noch bevor der Film in den Kinos angelaufen ist, war eine beachtliche Schieflage zwischen dem Film selbst und den Erwartungen verschiedener Personengruppen an ihn entstanden. So erhebe „der Film einen Authentizitätsanspruch, der nicht einlösbar ist“ (EKD), er „leide an einem grundsätzlichen Problem, weil er nämlich nicht als Meditation über Glaubenswahrheiten angelegt ist, sondern „die Wahrheit“ als vorgeblich realistisches, in allen Details ausgemaltes Geschehen vermitteln will. Die Dialoge in Lateinisch und Aramäisch sollen historisch verbürgte Authentizität vermitteln, obwohl die Bibel doch ein Glaubenszeugnis und kein Dokumentarbericht ist.“ (Filmdienst 6/2004), es sei „aber nicht „die Wahrheit“, die da erscheint, sondern nur eine neue Art von Fiktion, ein Purismus der Grausamkeit, der den klassischen Sandalenfilm beerbt, indem er ihn umdreht und seine rohe, blutige Unterseite zeigt.“ (FAZ 25.02.2004) Und immer wieder die viel zitierte Aussage Papst Johannes Paul II. "Es ist, wie es war.“ - und das dazugehörige Dementi der katholischen Kirche.
Wie kann es sein, dass der Wahrheitsanspruch eines Filmes zu einem zentralen Thema wird? Möglicherweise ist es der Bruch mit dem Genre der Jesusfilme, den „Die Passion Christi“ vollzieht. Weil der Film das erkennbar Vertraute eines Hollywood Monumentalepos der 1950er Jahre aufhebt, gerät er unter Verdacht nicht wahrheitsgetreu zu sein! Es ist nicht der erste Jesusfilm, der in die Kontroverse der Öffentlichkeit gerät. Monty Phyton’s „Das Leben des Brian“, eine Persiflage auf die Jesusfilme, wurde blasphemisch gedeutet. Martin Scorsese’s „Die letzte Versuchung Christi“ musste sich dem Vorwurf stellen, Christus allzu menschlich und zu wenig göttlich darzustellen. Es scheint, als ob die Thematik der Heilsgeschichte allenfalls akzeptiert wird, wenn sie, wie in „Der Herr der Ringe“ als Fantasy-Trilogie aufgearbeitet ist. Eine Erlöserfigur wird nur dann geduldet, wenn sie unverwundbar wie Neo aus „Matrix“ ist. Ob es sinnvoll ist, Grund und Inhalt der Evangelien über die Darstellung von Gewalt zu vollziehen ist fraglich und gewiss streitbar. Für Glauber Rocha, Begründer des Cinema Novo Brasiliens ist die „Ästhetik der Gewalt nicht gleichbedeutend mit Primitivismus, sondern revolutionär“. Es entspricht auf jeden Fall einem gängigen Trend, der den zeitgenössischen Film spätestens seit Tarantino’s „Pulp Fiction“ beherrscht.
Da ist außerdem noch die Sache mit der künstlerischen Freiheit. „Die Passion Christi“ ist als Autorenfilm Werk von Mel Gibson, dies schließt mit ein, dass Gibson in diesem Film auf seine Weise einen, ihm wichtigen Aspekt der Geschichte Christi behandelt. Es geht nicht um die Darstellung von Tatsachen, dagegen spricht die Form. Die filmischen Mittel sind die des fiktionalen Films. Wäre er dokumentarisch vorgegangen, könnte man ihn wegen mangelnder Authentizität belangen, aber das tut er nicht. Man betrachte die aufwendigen Studiobauten, die gesamte Ausstattung, die Maske. Die Einstellungen sind durchdacht, die Kamerafahrten und Plansequenzen angelegt und der Schnitt und die Montage folgen den Regeln ihrer Wirksamkeit. Eine durchgängig komponierte Filmmusik tut das Übrige. Heinz-B. Heller schreibt in einem Aufsatz: „Die Tatsache, dass Zuschauer erklärt fiktionale Filme immer wieder für blanke Wirklichkeit nehmen und – umgekehrt – dass ausgewiesenen Dokumentationen trotz aller Versicherung, hier sei Realität lebensecht abgebildet, für unglaubwürdig, unwahr oder schlichtweg erfunden gehalten werden, muss ernst genommen werden.“ und „Filmbilder sagen nichts darüber aus ob sie dokumentarisch sind oder nicht, dennoch existiert ein Mythos filmischer Authentizität.“. Auch der Einsatz von Symbolen spricht gegen eine, vom Autor beabsichtigte eins-zu-eins Umsetzung der Evangelien. Die von Gibson verwendeten Symbole stammen teilweise aus der kirchlichen Mystik, teilweise aus der Bibel. So sollen die Schlange und die Krähe, Satan und die Dämonen, das Brot und das Blut filmische Wirklichkeit visuell umsetzen, dem Bild eine Bedeutungsebene hinzufügen.
„Die Passion Christi“ lässt dem Betrachter keine Ruhe. Gibson setzt filmische Mittel so ein, dass die Distanz zwischen dem Geschehen auf der Leinwand und dem Rezipienten aufgehoben wird. Die Kamera übernimmt die subjektive Sicht Christi auf seinem Leidensweg. Sein Leiden spiegelt sich in den Großaufnahmen der Gesichter der Frauen. Das Knallen der Geißeln als Geräuschkulisse lässt den Betrachter nicht unbeteiligt. Meint mangelnde Authentizität vielleicht nicht ertragbare Eindringlichkeit? Slavoj Zicek schreibt: „Das Verbot, sich leidenschaftlich zu seinem Glauben zu bekennen, erklärt, warum „Kultur“ zu einer zentralen lebensweltlichen Kategorie geworden ist. Religion ist erlaubt – aber nicht als eine substanzielle Lebensweise, sondern als „Kultur“ und Lifestyle-Phänomen. […] Wir kennen eine Reihe von Produkten, deren schädigende Eigenschaft neutralisiert wurde: Kaffee ohne Koffein, Sahne ohne Fett, Bier ohne Alkohol. Die Liste ließe sich fortsetzen, …“ (Die Zeit, 12/2004) Jesus ohne Kreuzigung? Kreuzigung ohne Leiden? Leiden ohne Betroffenheit?
Eines ist klar: das Medientohuwabohu um Authentizität, Gewalt und Antisemitismus lenkt den – künftigen - Zuschauer von dem ab, was der Film auch sagen kann. Jesus Christus sagt von sich selbst: “Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit und ich bin das Leben. Ohne mich kann niemand zum Vater kommen.“ (Johannes 14,6) Es ist wie in „Der Kleine Prinz“ von Antoine St. Exupéry: „Adieu“, sagte der Fuchs. „Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar!“