Der jüdische Ehrenpräsident und das "geistige Erbe" Jesu
von Josef C. Haefely
Am 18. März berichtete das Schweizer Fernsehen DRS in der Tagesschau über die Filmpremiere von 'The Passion of the Christ'. Nach der Vorführung wurde der Ehrenpräsidenten der israelitischen Kultusgemeinde Zürich Sigi Feigel über seinen Eindruck befragt. Feigel wörtlich: "Ich rege mich ganz besonders darüber auf, dass in diesem Film nur Grausamkeiten gezeigt werden und nichts vom geistigen Erbe von Jesus, und ich rege mich noch mehr darüber auf, dass man hier Jesus Christus missbraucht, um die Kassen der Kinos klingeln zu lassen." Fragen wir einmal nüchtern, worin das von Feigel zitierte "geistige Erbe" Jesu unmissverständlich zum Ausdruck kommt. Weit zu suchen brauchen wir nicht; bei Johannes 15,12 lesen wir beispielsweise: "Liebet einander, wie ich euch geliebt habe. Eine grössere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde." Genau diese Worte sagt Gibsons Jesus in der filmischen Rückblende auf das letzte Abendmahl, als Jesus seinem Jünger Johannes den Becher reicht. Ein zweites von vielen authentisch zitierten Jesusworten findet sich in der Rückblende auf die Bergpredigt. Jesus spricht dort eindringlich, in Nahaufnahme und vom Sonnenlicht überflutet: "Ich bin der gute Hirt. Ich gebe mein Leben für meine Schafe." In allem Respekt vor dem Ehrenpräsidenten Feigel: War das vielleicht zuviel Licht auf einmal? "Mein Herz ist bereit!" spricht Jesus vor Beginn der Geisselung, ein Satz aus dem 57. Psalm! Erkannte Feigel aus dem Munde von Jesus-Darsteller Caviezel nicht Schlüsselzitate des Psalmisten David, welche ihm vom Synagogendienst so vertraut sein müssten? Entging Feigel etwa auch die rituelle Händewaschung aus der jüdischen Pessachliturgie, die dem letzten Abendmahl vorausging? Er mag vielleicht auch den Zusammenhang jener Worte Jesu am Kreuz kennen: "Mein Gott, mein Gott, wozu hast Du mich verlassen?" Feigel könnte die daran anschliessenden Verse aus dem 22. Psalm vermutlich aus dem Gedächtnis zitieren: "Ich aber bin ein Wurm, kein Mensch, der Leute Spott und verachtet vom Volk. (...) Sie verteilen meine Kleider unter sich, und werfen das Los um mein Gewand." Stösst sich der Ehrenpräsident vielleicht daran, dass Jesu "geistiges Erbe" zu ungeschminkt in den Film verwoben wurde? - Zum zweitem Vorwurf Feigels sei hier unkommentiert eine Aussage von Jesusdarsteller Caviezel aus der Novemberausgabe von „Our Sunday Visitor“ in Erinnerung gerufen. Der Schauspieler über seine Motivation: "Das einzige Motiv, für das ich das alles mache, ist die Bekehrung der Welt. Ich wünsche mir nicht, dass die Menschen mich sehen, sondern sie sollen nur Jesus sehen. Das erbete ich. Niemand - und das meine ich mit vollem Ernst -, niemand hat eine solche Leidensgeschichte bisher gesehen. Es ist die authentischste Passion, die es gibt. Keiner von uns hat den Film für Geld gemacht sondern aus Liebe. Ich selbst habe nichts dafür bekommen, Mel (Gibson) ebenso wenig. Jeder hat seine Zeit geschenkt, und er hat es aus Liebe getan." Caviezels Selbstaussage sollte in gesundem Respekt zur Kenntnis genommen werden. Keiner möge dem Schauspieler seine Frömmigkeit vorhalten, auch Feigel machen wir seine jüdische Verwurzelung nicht zum Vorwurf. - Möge sich Herr Feigel an ein Wort aus Jesu geistigem Erbe in Gibsons Film erinnern: "Habe ich Unrecht gehandelt, so beweise das Unrecht; habe ich aber recht geredet, was schlägst Du mich?"