"Sieg der Liebe über Hass"

Interview mit Domkapitular Wolfgang Sauer zu Gibsons "Die Passion Christi"

Exklusiv bei passion-film.de: Ein Interview mit dem Freiburger Domkapitular Wolfgang Sauer zum Film "Die Passion Christi".
Das Interview führten Sandra Grüning und Toni Nachbar von "Der Sonntag", einer Freiburger Wochenzeitung. passion-film.de bekam die Erlaubnis, dieses Interview im Internet zu veröffentlichen.

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Nach der Erstaufführung des umstrittenen Kinofilmes "Die Passion Christi" von Mel Gibson am Montag im Friedrichsbau suchte der Domkapitular des Erzbistums Freiburg, Wolfgang Sauer, zunächst einmal die Stille. Doch öffentlich um seine Meinung gebeten, teilte er nicht die Mainstream-Kritik am Film. Im Gespräch mit Sandra Grüning und Toni Nachbar begründet der 56-jährige Priester sein Urteil.

Einen Film, der fast durchgängig schlechte Kritiken bekam, haben Sie gelobt, Herr Sauer.
Loben ist bei Mel Gibsons "Die Passion Christi" nicht das richtige Wort. Ich behaupte aber, dass der Film eine anspruchsvolle Zumutung ist. Gibsons Werk ist kein üblicher Film. Wer sich gerne mit Popcorn in den Kinosaal begibt und Happy-Ends mag, wird bei diesem Film enttäuscht sein.

Gut, Sie loben den Film nicht, dennoch kann einem nicht entgehen, dass Sie beeindruckt sind.
Der Film besticht in meinen Augen durch einige Akzente, die ich in Jesusfilmen so schon lange nicht mehr gesehen habe. Die treffsicheren Rückblenden auf das Leben Jesu sind authentisch und ideenreich. So ein Drehbuch entsteht nicht am freien Samstagnachmittag. Mich beeindruckt vor allem die Zeichnung der einzelnen Personen am Wegrand der Passion, mit hervorragenden Schauspielern. Im Zentrum steht freilich Jesus, der leidende Gottesknecht. Dass sein Schicksal "schwer verdaulich" ist, liegt nicht am Film, sondern am Thema: einem unbegreiflichen Leidensweg, den Gott zulässt. Schaue ich im Film auf das geschundene Antlitz des sterbenden Christus, muss man sich an ein Wort erinnern, das im Johannesevangelium überliefert ist: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen." Anders ist "Gott" nicht zu haben. Mit der Botschaft eines solchen gekreuzigten Messias waren die Christen von Anfang an nicht mehrheitsfähig. Vielleicht hat die negative Kritik letztendlich auch damit zu tun.

Wer die Kritiken gelesen hat, gewinnt den Eindruck, es handle sich hier um effektheischendes Hollywoodwerk. Sie aber finden den Film voller Tiefe und Poesie.
Es fällt mir auf, wie sehr die Rezensionen bei uns von der Meinungsführerschaft aus dem angelsächsischen Raum beeinflusst sind. Fast könnte man denken, einer hätte vom anderen abgeschrieben, ohne den Film gesehen zu haben. Noch bevor der Film in Deutschland anlief, war das negative Urteil in den bekannten Zentralthemen hier zu Lande standardisiert.

Am Film missfällt vielen die Gewaltorgie, die er transportiert.
Es stimmt, dass sehr viel Gewalt gezeigt wird, eben die Passion. Deshalb liegt eine Altersfreigabe ab 16 Jahren nahe. Die Passion Christi Gibsons meditiert für mich die dunkle Frage "Warum musste das sein?" Es geht um das unbegreifliche Ende eines Gerechten, wie Jesus es war. Der Tod Jesu war und ist eine unglaubliche Katastrophe, an die wir Christen uns vielleicht gewöhnt haben, weil wir schon das Halleluja von Ostern im Ohr haben. Ich kann den Vorwurf von Vertretern meiner Zunft nicht einordnen, der Film sei belanglos und enthalte zu wenig Theologie oder Erlösung.

Aber auch Gibson lässt den Film nicht in der Katastrophe, sondern mit der Auferstehung Jesu enden.
In der Szene von der Auferstehung sehe ich neben anderen missglückten Einstellungen eine Schwäche des Filmes. Schon deshalb, weil die Auferstehung filmisch gar nicht darstellbar ist. Meiner Meinung nach, hätte Gibson besser daran getan, den Film dort enden zu lassen, als der tote Jesus in den Schoß seiner Mutter gelegt wurde. Das Gemälde der Pietà-Szene als äußerste Zuspitzung der Passion, aber auch eine angedeutete Brücke zum neuen Leben: Sieg der Liebe über den Hass.

Dem Film wird auch Antisemitismus vorgeworfen.
Einen Antijudaismus kann ich nicht ausmachen. Im Gegenteil: Die großformatigen Menschen in dem Film sind Persönlichkeiten des jüdischen Volkes. Ich nenne die beiden Marias und Simon von Cyrene. Und vergessenen wir nicht: Jesus selbst war Jude, ein großer Sohn seines Volkes. Er gehört allen Menschen, nicht allein den Christen. Noch etwas: Bei der Szene, in der Pilatus das Volk vor die Wahl "Jesus oder Barabbas" stellt, und die Masse den "Barabbas" erbrüllt, musste ich spontan an die alten Wochenschauberichte denken, Goebbels und seine Frage: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Wann hört die Macht der Demagogen endlich auf?! Die Hohenpriester sind für mich Beispiele jenes Typs religiöser Autoritäten, die in Konfliktsituationen den Menschen und das Gesetz gegeneinander ausspielen. Das ist kein jüdisches Thema, so etwas gibt es in allen Religionen, auch in der christlichen.

Sie würden den Film also jedermann empfehlen?
Ich empfehle, dass die den Film sehen wollen, sich intellektuell redlich und vielleicht sogar mit religiösem Interesse daran machen. Für mich war der Film 124 Minuten nachdenkliches Staunen, obwohl ich die "Story" ja kannte. Die Passion Christi ist eine Provokation, als Film und natürlich in Wirklichkeit.

 

 
Wolfgang Sauer, Domkapitular in Freiburg