Stellungnahme des Erzbischöflichen Ordinariates Freiburg zu dem Film „The Passion of the Christ“ von Mel Gibson

17. März 2004
Mit freundlicher Genehmigung des Erzbischöfliches Ordinariates Freiburg

von Domkapitular Wolfgang Sauer
Leiter der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit

„Die Passion Christi“ ist ein anspruchsvoller Film. Nachdem er ausschließlich mit Untertiteln arbeitet und die in Aramäisch bzw. einem italienisch anmutenden Latein gesprochenen Dialoge den meisten Zuschauern vermutlich verschlossen bleiben dürften, riskiert der Film, seine eigentliche Aussage-Intention zu verfehlen. Denn auch eine umfassende Kenntnis der biblischen Texte und Überlieferungen ist nötig, um die theologische und geistliche Einordnung der einzelnen Szenen vornehmen zu können. Diese zugegeben hohe Hürde mag Ursache dafür sein, dass das in diesen Tagen in den deutschen Filmtheatern anlaufende Werk im Vorfeld teilweise auf harsche Kritik gestoßen ist. Für Menschen freilich, die trotz der genannten anstrengenden Voraussetzungen der Wirklichkeit des Leidens Jesu näher kommen und sich dabei nicht allein dem ästhetischen Genuss großer musikalischer Passionswerke anvertrauen wollen, kann der Besuch des Films zu einem besonderen spirituellen Erlebnis werden.

Zweifellos greift der Regisseur und Produzent in einem fast nicht mehr erträglichen Ausmaß zum Stilmittel der hemmungslos zur Schau gestellten Gewalt. Es trifft zu, dass ihm dabei z.T. groteske, wenn nicht gar völlig deplazierte Übertreibungen unterlaufen, die durch die biblischen und zeitgenössischen Überlieferungen nicht gedeckt sind. Offenkundig geht es Mel Gibson, seine von ihm selbst bekundete religiöse Intention einmal unterstellt, in erster Linie nicht um eine exegetisch abgesicherte historische Reportage, sondern um eine auf Leinwand gemalte Meditation, die reich ist an Allegorien, treffsicher eingestreuten Rückblenden und deswegen an poetischer Kraft. Auf die Vorhaltung, „ob es denn wirklich so war“, wird man mit der Frage antworten müssen, wie viel anders es denn hätte gewesen sein können. Thema sind schließlich eine Kreuzigung und die qualvollen Ereignisse im Vorfeld dieser Hinrichtung. Dass römische Schergen dabei nicht behutsam vorgingen, ist hinreichend belegt. Eine wissenschaftlich zweifelsfreie Auskunft darüber, was sich in den letzten Stunden des Lebens Jesu sich „tatsächlich“ ereignet hat, wird schwer zu erhalten sein.

Betrachtet man also den Film aus einer Warte, die das Vordergründige hinter sich lässt, kann folgendes festgehalten werden. Das Leiden und die übermenschliche Leidensfähigkeit Christi sind authentisch eingebunden in das große Drama der menschlichen Existenz. Bei den dargestellten Schlüsselfiguren geht es typologisch um Verrat und Profit, um Feigheit und Wahrung des Ansehens, um blinde Rechthaberei und um das Ausleben einer bestialischen Lust am Quälen. So gesehen hat die dem Film vorgeworfene blutrünstige Brutalität viel mit der Wirklichkeit des Menschen und der real existierenden Menschheit zu tun. Die tägliche Berichterstattung in den Medien führt uns eindrücklich vor Augen, welch dunkles Gesicht die Passion in unserer Zeit hat.

Neben der schonungslos dargestellten Tatsache, dass Menschen sich gegenüber ihresgleichen ohne jegliche Hemmung in den Blutrausch der Vernichtung hineinsteigern können, entfaltet der Film seine eigentliche Botschaft in der auch psychologisch meisterhaft herausgearbeiteten Zeichnung einzelner Personen. Vieldimensional und anrührend die Beziehung zwischen Maria und ihrem Sohn Jeshua, überzeugend die bekehrte Liebe der Maria von Magdala, von besonderer Intensität der behutsam nachempfundene Sinneswandel des Simon von Cyrene, der unter der Last des Kreuzes den Sinn der Passion zu ahnen beginnt. Der in wechselseitiger Sprachlosigkeit eingebundene Konflikt zwischen Pilatus und seiner Frau, eindrucksvoll inszeniert in den Charakteren und ihrer Verortung im geheimnisvollen Sinn der Passionsgeschichte. Ganz zu schweigen vom letztlich nicht lösbaren Drama der Person des Judas.

Von besonderer theologischer Tiefe ist die wie in einem Mysterienspiel durchgetragene Präsentation des „Widersachers“, der auf diesem letzten Weg Jesu die eigentliche Auseinandersetzung zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit verkörpert. In seinem Bann und unter seinem unsichtbaren Szepter geknechtet: die Massen, die den Tod Jesu wollen und sich an ihm befriedigen. Hier werden die dunkelsten Stunden der Menschheitsgeschichte sichtbar, die heute so genannten „humanitären Katastrophen“: namenloses Unrecht, Terror, Massaker, Vergewaltigungen, der Holocaust. Aus der Botschaft des Films wird überdeutlich, dass es keine Kollektivschuld gibt, sondern dass es stets einzelne Menschen sind, die angesichts der Bewährung von Wahrheit und Gerechtigkeit kläglich versagen und dabei ihre eigene Würde verlieren. In aller bedrückenden Realität des Leidensweges Christi wird aber sichtbar, dass es auch wieder einzelne Menschen sind, die sich nicht blenden lassen vom verführten Geschrei der Masse: Heilige am Wegrand der via crucis. Und dann natürlich Jesus selbst. Man liest und betet die Psalmen Israels wieder neu, wenn man sie aus dem Mund dieses Leidenden gehört hat, entsetzlich geprüft und doch in unverbrüchlicher Treue zu seinem Gott.

Vielleicht gelingt es der Betrachterin und dem Betrachter dieses Films, beim Zuschauen auch die Frage nach der eigenen Verantwortung zu stellen. Das Entsetzen über zerfetztes Fleisch am Körper des geschundenen Jesus sollte von der Frage nach den eigenen Anteilen in der Passion der Menschheit nicht ablenken.

Wahrscheinlich wäre es gut gewesen, Mel Gibson hätte seinen Film enden lassen in der äußersten Zuspitzung der vermeintlichen Tragödie, d.h. in der ergreifenden Szene der Pietà: der Leichnam Jesu im Schoß seiner Mutter, im Kreis der wenigen treu gebliebenen Freundinnen und Freude. „Hier findest Du die Wahrheit!“, möchte man Pilatus antworten.

Es ist zu wünschen, dass die Besucherinnen und Besucher, die auf das Wagnis von „The Passion of the Christ“ eingehen, sich in ihrer eigenen Bewertung befreien können von den Vorurteilen einer Kritik, die den Film in die gängigen Themen und Klischees bannen will. Die notwendige Reife in der Auseinandersetzung mit einem menschlich mehr als anspruchsvollen Thema lässt es geraten erscheinen, die vorgegebene Altersgrenze von 16 Jahren einzuhalten. - In der Nachbereitung kann beides sinnvoll sein: das private Meditieren oder das behutsame Nachgespräch im vertrauten Kreis. Wichtig ist, dass durch das geschundene Antlitz Christi hindurch der Blick auf die verborgene Liebe des erlösenden Gottes zum Tragen kommt. Auf diese eigentliche Intention wird ja gleich am Beginn des Film hingewiesen: das Jesaja-Zitat vom leidenden Gottesknecht (Jes. 53), das sich die Christenheit jedes Jahr am Karfreitag verkünden lässt. In diesem Jahr vielleicht wissender und nachdenklicher.