Karfreitags- oder Oster-Christin?

von Thekla Neumann, Studentin

Ich habe mich in einem Gespräch einmal als „Karfreitags- Christin“ bezeichnet. Am Karfreitag fühle ich mich wie an keinem anderen Feiertag bzw. in keinem anderen Gottesdienst von Gott so direkt berührt. Ich bin bewegt, aufgewühlt und von ganzem Herzen dankbar, wenn Gott mir zeigt, dass er damals am Kreuz von Golgatha für mich gelitten hat. Ich feiere gerne Abendmahl, weil ich dann in besonderer Weise etwas davon erahne, was es Jesus gekostet hat, wie wertvoll ich ihm bin. Deshalb war ich sehr gespannt auf „Die Passion Christi“ – das Karfreitags- highlight im Kino...!

Dieser Film hat mich zwar innerlich aufgewühlt, aber an meinem persönlichen (Glaubens-) leben sind die gewaltigen Blutbilder vorbeigerauscht. Ich empfand die Brutalität, Gewalt und das Blutvergießen als so übermächtig in Gibsons Film, dass sie über die Grenze des Zumutbaren hinausgingen und somit auch die der Realität überschritten. Über zwei Stunden der Folter eines Mannes zuzuschauen, die in allen Details gezeigt wird (nervend oft in slow-motion), hat mich beinahe zum Erbrechen gebracht, nicht aber näher zum Vaterherz Gottes.

Selbst da, wo es sich vermeiden ließe, spickt Gibson den Film mit kleinen Horrorszenen (Dämonenfratzen, Judas Wahnsinn, der verweste Esel, das Teufelskind, die Krähe) und man wird den Verdacht nicht los, dass er „gewaltig“ viel Freude an solchen Szenen zu haben scheint. In mir als Zuschauerin haben sich da Ekel, Abscheu, Angst und Aggressionen aufgebaut – gute Werbung für den christlichen Glauben????

Wie Inseln der Ruhe und der Entspannung für Augen und Seele waren die Rückblenden in die Vergangenheit, in denen Jesu Leben und seine Botschaft klar vermittelt wurden. Davon hätte es ruhig ein bisschen mehr sein dürfen. Gelungen waren die Schnitte und die Verknüpfung zwischen Worten/Taten Jesu und seinem Leben. Es wurde deutlich, dass das „Liebet eure Feinde“ keine leere Floskel von Jesus war und auch das Abendmahl wurde in seinen sinnstiftenden Zusammenhang gestellt.

Gut gefallen haben mir auch die zwielichte Gestalt des Judas und die dienende Haltung des Simon von Kyrene, der Jesus in seinem Leiden durch seinen Liebesdienst so nah wie niemand anders war – der eine ein abschreckendes Beispiel, der andere ein Vorbild. Leider waren das neben Maria auch schon die einzigen echten Charaktere – sowohl Petrus, Johannes und Maria Magdalena als auch Kaijphas, Nikodemus, Pilatus und der römische Hauptmann haben zwar „Hauptrollen“, erscheinen aber nicht wirklich als Persönlichkeiten. Schade. In ausführlicheren Nebengeschichten hätte sich die frohmachende Botschaft des Evangeliums plastischer erzählen lassen. Meiner Meinung nach wichtige Stellen aus dem Neuen Testament werden weggelassen (z.B. das Bekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz „Dieser ist wahrhaft der Sohn Gottes!“).

Dafür kommen legendäre Geschichten aus der katholischen Tradition nicht zu kurz. Der lange Weg von der Verurteilung bis hoch nach Golgatha ist exakt dem Kreuzweg nachempfunden (Jesus fällt dreimal, das Schweißtuch der Veronika etc.) Im Film ist auf dem Schweißtuch das Gesicht Jesu zu sehen, so dass es dem legendären „Turiner Grabtuch“ ähnelt. Kraft scheint Jesu nur durch den Anblick seiner Mutter Maria zu bekommen, die stets an seiner Seite ist. Sie wird zwar trauernd, vor allem aber durch und durch verständig und weise gezeichnet. Dass „nur das Neue Testament“ Mel Gibson als Grundlage für das Drehbuch diente, ist also etwas zu kurz gegriffen – vielmehr haben ihm einige Blicke in die römisch- katholische Legendensammlung gründlich beim Ausschmücken geholfen.

Sehr negativ aufgefallen ist mir die extreme Schwarz- Weiß- Malerei der Figuren. Mag dieser Dualismus auch zu jedem Hollywood- Film dazugehören und mag es auch in der Bibel ähnlich beschrieben sein, realistisch ist das nicht! Kein Wunder, dass Juden der ganzen Welt sich beschweren, dass hier antisemitische Tendenzen geschürt werden. Die „Gottesmörder“ werden ohne jegliche menschliche Züge dargestellt und der Hohe Rat, die geistliche Führung, ausschließlich als korrupt und hinterhältig. Vielleicht waren sie das auch, vielleicht waren aber doch einige „fromme“ Männer unter ihnen, die einfach ratlos vor Gott standen und nicht wussten, was da gerade passiert. Ebenso werden die römischen Soldaten ausschließlich als dumm, besoffen, gröhlend und gewaltverherrlichend gezeigt. Warum nicht mal wagen, einen Menschen zu zeigen, der wankt, der nicht genau weiß, der Zweifel an all dem hat. Zuviel verlangt?

Mel Gibson hatte die Absicht, in seinem Film so authentisch wie möglich zu zeigen, wie sehr Jesus Christus am Kreuz von Golgatha gelitten hat – für unsere Schuld. Das ist ihm nur teilweise gelungen.

Immer wieder sehe ich die Bilder des Filmes vor mir. Worte von Jesu Leiden und Sterben sind mit eindrücklichen Bildern ausgefüllt. Der Film hat mir als Christin neu bewusst gemacht, WIE wertvoll ich Jesus bin. Und dass sein Weg zu uns der Menschen der qualvollste Weg war, den er hätte gehen können – weil er uns so sehr liebt! Immer wieder kam mir eine Liedzeile in den Kopf: „Unsre Schuld hat den Herrn am Kreuz durchbohrt, so viel tiefer als die Nägel seinen Leib.“ Das Kreuz sollte kein Schmuckstück für unsere Kirchen und Gemeinden sein, weil es so schön aussieht und so einfach zu bauen ist – sondern weil es uns an den Tod Jesu für unser „Menscheln“ erinnern soll.

Leider hat Mel Gibson verkannt, dass man das große Wunder von Golgatha, dass Gott als Mensch unsagbar litt, um eine Liebesbeziehung zu uns Menschen zu führen, nicht verfilmen kann. Und dass die Intensität seiner Liebe sich NICHT in der Anzahl seiner Wunden misst.

Noch nie habe ich mir so sehr das Ende eines Kinofilmes herbeigesehnt wie in diesem Film. Wann kommt die Erlösung? Die Erlösung für die Schmerzen Jesu kam durch seinen Tod und ganz kurz war auch noch zu erahnen, dass er auferweckt wurde. Leider nichts davon zu merken, wie sich das auf uns auswirken könnte – erlöstes Leben. Wurde irgendetwas anders mit Ostern? Ich hätte mir gewünscht, etwas von der Lebensfreude, von der heilenden Kraft der Auferstehung zu spüren, die Gott uns seit Ostern versprochen hat. Das wäre gute Werbung. Und das ist auch der Grund, warum ich als Christin lebe: weil Gott mir versprochen hat, alle Tränen zu trocknen, aller Gewalt ein Ende zu machen und ich sein Kind sein kann – ohne schlechtes Gewissen, aus reiner Gnade! Vielleicht bin ich ja doch eher eine „Oster- Christin“.