Undarstellbarkeit im Jesusfilm

Angesichts der hier aufscheinenden Grundlagenprobleme bei der filmischen Darstellung von Glaubenswahrheiten darf wohl an das Wort Joseph Kardinal Ratzingers erinnert werden, der anläßlich der Debatten im Frühjahr diesen Jahres geäußert hat, er sei persönlich „überhaupt ge-gen Jesus-Filme, weil ich glaube, dass man diese Gestalt, die alle menschlichen Maße bricht, nicht schauspielerisch darstellen kann“ . Diese Äußerung ist theologisch außerordentlich be-denkenswert, formuliert sie doch nicht nur so etwas wie eine ‚Negative Theologie für Cineasten’, sie lässt sich auch nahezu bruchlos in die Geschichte des Jesusfilms und der in diesem Kontext notwendigen Anschlussreflexionen einfügen, ohne die auch und gerade Mel Gibsons Werk nicht angemessen gewürdigt werden kann:
Schon bald nach dem Aufkommen des Jesusfilmes, der als Genre die überkommenen medialen Formen Evangelienharmonie, Bibelillustration, Passionsspiel und Leben-Jesu-Roman gesamt-kunstwerkartig in sich vereint und modifiziert fortführt, seit dem Jahr 1897 also, hatten sich nämlich kirchliche und nationale Kultusbürokratien aus durchaus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Darstellung der Person Jesu im Film gewandt: Es existieren französische und briti-sche Verbote aus dem Jahre 1913; ja, die deutsche evangelische Filmarbeit konnte noch 1950, als die ersten abendfüllenden Jesusfilme in Farbe und Ton bereits abgedreht waren und der bibli-sche Sandalenfilm á la DAS GEWAND oder  QUO VADIS seinen Siegeszug durch die Kinos der westlichen Welt antrat, formulieren: „Wir müssen bitten, die filmische Darstellung der göttlichen Offenbarung (Christusleben, Vorgang des Wunders, Vollzug der Sakramente) zu vermeiden. Der Film kann die Wirklichkeit des heiligen Geistes nur im Spiegel eines menschlichen Schicksals spürbar machen.“  Eine Bitte, der durch das Aufkommen der Genres ‚Transfigurativer Jesus-Roman und –Film‘  zwar unwillkürlich Folge geleistet wurde, jedoch ohne große Begeisterung beim ‚Kirchenvolk‘ auszulösen, das – aus nur allzu verständlichen Gründen – in der Regel den Bibelfilm ebenso vorzieht wie gegenständliche Kirchenkunst. Bis heute ist ein Film wie Martin Scorseses DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI eher in der Lage die Massen zu interessieren und die Gemüter erhitzen als die mit Transfiguration, Verfremdung und Spiegelungen arbeitenden Werke Denys Arcands, Derek Jarmans, Hal Hartleys und anderer.
Natürlich kann man der Meinung sein, Mittel moderner Filmkunst wie Abstraktion, Verfrem-dung und Schock, Auflösung der zeitlich/räumlichen Kontinuität, Verabschiedung des Erzählki-nos etc. seien eo ipso mit christlichen Inhalten unvereinbar, ja in Gänze abzulehnen, da „das so-genannte ‘Dunkle’ und ‘Pessimistische’ [...] ‘kernlos’ sei. Man vermißt das ‘Erhebende’ und ‘Beglückende’” . Doch aus pastoraler und erst recht aus ästhetisch-hermeneutischer Perspektive erweist sich ein solches Urteil zumindest als einseitig und viel eher als ein Problem von im 19. Jahrhundert steckengebliebenen Sehgewohnheiten denn als der mit modernen Mitteln tatsächlich transportierbaren (Glaubens-)Inhalte. Wer sich hier explizit oder implizit dem Formalismusvor-wurf, dem einschneidendsten Mittel der sozialistischen Kunstzensur, anschließt, befindet sich zumindest in schlechter Gesellschaft.
Für den ‚Jesusfilm‘ bedeutet all dies, dass neben der Würdigung der genannten und vieler ande-rer Bibelfilme, deren katechetischer Wert hier keinesfalls in Abrede gestellt werden soll, eine Offenheit und Sensibilität für alternative ästhetische Formen entwickelt werden müsste. Genauer ginge es um eine Suche nach Spuren der Verarbeitung biblischer Themen in Filmen, die auf den ersten Blick vielleicht befremden. Hier lauert keineswegs die Wüste säkular geprägter Ignoranz für religiöse Inhalte, wie in einschlägigen Arbeiten bereits ausführlich gezeigt wurde,  sondern oftmals ein ausgeprägtes Interesse der AutorInnen für religiöse Themen und Erzählungen und speziell für die Person Jesu, das sich freilich einem unmittelbaren Zugang entzieht. Neben einem Verzicht auf den biblischen Kontext als Interpretationshilfe, fordert die zeitgenössische Kunst-theorie eine Offenheit des Kunstwerks für verschiedene Deutungen. Wo die Situation des Rezi-pienten als für die (Be-)Deutung des Kunstwerks konstitutiv verstanden wird, muss auf Über-rumpelungstaktiken verzichtet und der Betrachter als in seiner jeweiligen Perspektive vom Autor nicht antizipierbarer Partner ernstgenommen werden .
Die genannten Horizonterweiterungen bewirken nicht notwendig die Auflösung des Kunstbe-griffs oder das Ende des religösen Films. Umberto Ecos Konstruktion eines vom Autor antizi-pierten ‚Modell-Lesers‘, der ”einen Teil der Arbeit”  tut, indem er die Auswahlkriterien für be-stimmte im Werk verwendete (etwa auch biblische oder religiöse) Codes anbietet , erlaubt eine relativ genaue Umschreibung der Relation zwischen Deutungsoffenheit bzw. -verschlossenheit eines Kunstwerkes und der Rezeption in dem Sinne, dass sie einerseits als Auslegung der im Text vorgegebenen Hinweise verstanden wird, andererseits aber das Ignorieren bestimmter Pas-sagen und vom Autor nicht unmittelbar intendierte Deutungen bis zu einem gewissen Grad tole-riert werden kann.

Ist explizit von religiöser, näherhin christlicher (Film-)Kunst die Rede, so ergibt sich über die genannten allgemeinen Bedingungen hinaus die Notwendigkeit, dass in einer (fundamental-)theologischen Reflexion auf die zentrale(n) Botschaft(en) des christlichen Glaubens und in größtmöglicher Unabhängigkeit von einzelnen hermeneutischen Konzepten (nicht jedoch in ei-ner Verkennung der fundamentalen Notwendigkeit von Vermittlung überhaupt) Kriterien für die Darstellung Jesu und seiner Botschaft entwickelt werden müssen. 

Ergebnis einer solchen Reflexion könnte es sein, dass ein Film, der augenscheinlich raum-zeitliche Gegebenheiten des ursprünglichen Entstehungskontextes verläßt, als zeitgenössische Aneignung der Botschaft der Evangelien durchaus in der Lage sein kann, die Sinnspitze des Le-bens und Sterbens Jesu zu erfassen und unter aktuellen Bedingungen neu lesbar zu machen. Der Aufwand der Transmission religiöser Inhalte in andere (zeitgenössische) Kontexte läßt eine Aus-einandersetzung des Autors mit den Inhalten sogar wahrscheinlicher werden, weil die damit greifbar gewordene hermeneutische Frage ihre kritische Reflexion zwangsläufig erfordert. Etwas zugespitzt scheint sich so die Frage nach dem Wert eines dezidiert christlichen Filmes nicht un-abhängig von der Frage nach seinem Wert als Kunstwerk beantworten zu lassen.